Offenbarung 1,4
“Johannes an die sieben Gemeinden in der Provinz Asien: Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind.….” (LUTH 1984)
In Offenbarung 1,4 richtet sich Johannes an die sieben Gemeinden in Asien. Für die damaligen Empfänger war sofort erkennbar, wer hier spricht: Johannes, der Jünger Jesu, Sohn des Zebedäus und Bruder des Jakobus. Johannes gehört zu den prägenden Gestalten des Neuen Testaments. Er gilt als Verfasser des Johannesevangeliums, der drei Johannesbriefe und der Offenbarung. Aus der Apostelgeschichte (12,2) wissen wir, dass sein Bruder Jakobus der erste der Zwölf war, der als Märtyrer starb. Für die Gemeinden war diese Verbindung von großer Bedeutung. Sie hörten die Worte eines Mannes, der Jesus persönlich begegnet war und dessen Leben tief im Glauben verwurzelt war.
Die sieben Gemeinden, an die Johannes in der Offenbarung schreibt, stehen nicht nur für konkrete Orte in der damaligen Landschaft Asien. Sie sind zugleich ein Bild für das ganze Volk Gottes – für die Gemeinschaft der Gläubigen zu allen Zeiten und an allen Orten. Die Zahl Sieben ist in der Bibel ein Zeichen für Vollständigkeit und göttliche Ordnung. Deshalb geht es in der Offenbarung nicht allein um die historischen Gemeinden, sondern um alle, die Jesus durch die Jahrhunderte hindurch zu sich ruft.
Wie Paulus im ersten Korintherbrief (6,20) schreibt, hat Christus seine Gemeinde teuer erkauft: “Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe” (LUTH 1984). Er sammelt sie und stellt sie in seinen Dienst. Gemeinde ist daher kein abstrakter Begriff, sondern eine lebendige Gemeinschaft von Menschen, die mitten in der Welt leben und doch nicht von der Welt sind. Dieses Spannungsfeld beschreibt Jesus eindrücklich in Johannes 17,14–18: Seine Jünger sind in der Welt, aber sie gehören nicht der Welt. Sie haben einen Auftrag – den Dienst an Gott und den Menschen.
Auch unsere heutigen Gemeinden sind Teil dieser großen, lebendigen Gemeinschaft. Sie werden immer wieder neu geformt, damit Gottes Gegenwart und Liebe erfahrbar werden und Menschen darin Heimat und Auftrag finden.
Die Botschaft der Offenbarung richtet sich auch heute unmittelbar an uns. Wer sich zur Gemeinde Jesu zählt, gehört zu einer jahrtausendealten Gemeinschaft, die durch Christus selbst verbunden ist. Ob wir uns im kleinen Kreis oder in einer großen Versammlung treffen – wir alle sind angesprochen durch die Zusage von Gnade und Frieden, die Johannes im Namen Gottes den Gemeinden übermittelt. Dieser Gruß macht deutlich: Friede und Gnade sind nicht bloß menschliche Wünsche. Sie kommen von dem „der da ist und der da war und der da kommt“ – vom ewigen Gott, der alle Zeiten umfasst und uns in seiner Treue begleitet.
Darum dürfen wir jeden Tag mit Zuversicht leben. Gottes Gegenwart und seine Verheißungen sind nicht veraltet oder fern, sondern lebendig und wirksam mitten in unserem Leben.
Von besonderer Bedeutung ist die Erwähnung der „sieben Geister vor seinem Thron“. Sie stehen für die Fülle und Reinheit des Heiligen Geistes, der von Gott ausgeht und seine Gemeinde leitet. Damit wird deutlich: Die Gemeinde lebt nicht aus eigener Kraft, sondern wird durch Gottes Wirken getragen und geführt. Es ist die Kraft Gottes, die in uns und durch uns wirkt, wenn wir ihm vertrauen und uns seinem Wort anvertrauen. Dieses Wissen schenkt uns Hoffnung – und zugleich Verantwortung. Denn wir sind Teil eines göttlichen Plans, der niemals endet und in dem jedes einzelne Leben seinen festen Platz hat.
Wer sich dieser Wirklichkeit bewusst wird, gewinnt eine neue Perspektive für das eigene Leben im Glauben. Es wird deutlich, wie eng Verbundenheit und Gemeinschaft sind – nicht nur innerhalb zeitlicher oder räumlicher Grenzen, sondern in einer geistlichen Realität, die alle Zeiten und Orte umfasst. Unsere heutige Gemeinde ist daher nicht getrennt von den sieben Gemeinden der Offenbarung, sondern mit ihnen unmittelbar verbunden.
Diese Erkenntnis ruft uns dazu auf, die Sendung Jesu an seine Gemeinde ernst zu nehmen und aktiv am Dienst in der Welt mitzuwirken. Der Friede, den Christus schenkt, ist zugleich Auftrag und Kraftquelle. Er befähigt uns, inmitten der Herausforderungen unserer Zeit standzuhalten und zu handeln.
Die Offenbarung lädt uns ein, nicht nur die historischen Hintergründe wahrzunehmen, sondern die lebensverändernde Bedeutung dieser Worte für unser persönliches und gemeinsames Glaubensleben zu entdecken. Johannes spricht aus einer tiefen Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott – eine Gemeinschaft, die auch uns heute offensteht. Die Gnade und der Friede, die er zusagt, sind ein kostbares Geschenk. Im Glauben dürfen wir sie annehmen, damit wir im Alltag gestärkt und ermutigt leben – getragen von dem Geist, der bei Gott wohnt und zugleich in uns wirkt. So werden wir selbst angesprochen: Glauben zu leben, Gespräche zu führen und das Licht Jesu in die Welt zu tragen. Denn wir gehören zur großen Familie Gottes, die niemals endet.
Weiter heißt es: „Gnade sei mit euch und Friede.“ Beide Worte waren zur Zeit des Neuen Testaments vertraute Grußformeln. „‚Gnade‘ greift den im Griechentum üblichen Gruß auf, während ‚Friede‘ – ‚Schalom‘ – das traditionelle Grußwort Israels war.“ Johannes verbindet diese beiden Worte miteinander, so wie es auch Paulus regelmäßig in seinen Briefen tut (vgl. Römer 1,7; 1. Korinther 1,3; 2. Korinther 1,2 u.a.). Damit wird deutlich: Die Botschaft richtet sich an Menschen aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und vereint sie in der Zusage von Gottes Gnade und Frieden.
Die Worte „Gnade sei mit euch und Friede“ sind im Mund eines Zeugen Jesu keine leeren Floskeln, sondern werden mit Leben gefüllt. Sie sind Ausdruck einer Wirklichkeit, die von Gott selbst ausgeht. Jeder Glaubende, jeder, der im Gebet für andere eintritt, jeder, der sein Leben aus dem Opfer Jesu empfängt, darf im Auftrag des Herrn so grüßen und segnen. Schon im Alten Testament war der Segen an das Opfer gebunden. Aaron erhob seine Hände und segnete das Volk, nachdem das Opfer vollzogen war (3. Mose 9,22–23). Ebenso sprach Gott selbst den Aaronitischen Segen über Israel aus: „Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden“ (4. Mose 6,24–26).
Wenn dies schon im Alten Bund galt, wie viel mehr gilt es nun im Neuen Bund, der durch das endgültige Opfer Jesu Christi besiegelt ist. Jeder, der an Jesus glaubt, darf segnen, weil er selbst gesegnet ist. Jeder Glaubende ist berufen zu einem priesterlichen Dienst, wie es im ersten Petrusbrief heißt: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht” (1. Petrus 2,9 LUTH 1984). Auch die Offenbarung bezeugt, dass Christus uns „zu Königen und Priestern gemacht hat für Gott, seinen Vater“ (Offenbarung 1,6).
Darum gehören „Gnade“ und „Friede“ im Neuen Testament untrennbar zusammen. Weil wir von Gott begnadigt sind, stehen wir nun in seinem Frieden. Paulus fasst es im Römerbrief so: „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus“ (Römer 5,1 LUTH 1984). Dieser Friede ist nicht nur ein inneres Gefühl, sondern eine objektive Wirklichkeit, die auf dem Opfer Jesu gründet. Wer diesen Frieden empfangen hat, kann mit Zuversicht weiterlesen in der Offenbarung und die Wege, die Gott durch sein prophetisches Wort eröffnet, hoffnungsvoll weitergeben.
Das bedeutet für unser Leben heute: Wir sind nicht Zuschauer, sondern Teilhaber an Gottes Geschichte. Wir dürfen segnen, weil wir gesegnet sind. Wir dürfen Frieden weitergeben, weil wir selbst Frieden empfangen haben. Wir dürfen Gnade bezeugen, weil wir selbst begnadigt sind. Diese Haltung verändert unseren Alltag. Sie macht uns zu Menschen, die nicht nur reden, sondern handeln, die nicht nur hören, sondern leben. Jesus selbst hat uns zugesagt: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan“ (Matthäus 7,7 LUTH 1984).
Wer diese Zusage ernst nimmt, erfährt, dass Gnade und Friede nicht nur Worte sind, sondern eine Kraft, die trägt. Sie befähigt uns, inmitten der Herausforderungen unserer Zeit standzuhalten, Hoffnung zu bewahren und Licht in die Dunkelheit zu bringen. So wird die Gemeinde Jesu zu einer lebendigen Gemeinschaft, die Gottes Gegenwart sichtbar macht und sein Wort in die Welt trägt.
„Von dem, der da ist und der da war und der da kommt“ – so beschreibt Johannes den ewigen Gott. Es heißt nicht einfach: „Der sein wird“, sondern ausdrücklich: „Der kommt“. Das bedeutet, Gott ist nicht nur ein ferner Gedanke an die Zukunft, sondern er ist selbst die Zukunft. Er ist immer im Kommen, in Bewegung hinein in das, was vor uns liegt. Und zugleich bewegt er sich auf uns zu: Er ist schon zu uns gekommen, er kommt heute, und er wird kommen.
Diese Dynamik durchzieht die ganze Bibel. Wie eine dunkle Linie zieht sich die ernste Botschaft hindurch, dass Gott sich wegen der Sünde von den Menschen abwendet. Das bedeutet Trennung, Gericht und Tod. Schon im Paradies wurde der Mensch aus der Gegenwart Gottes verstoßen (1. Mose 3,24). Der Prophet Hesekiel beschreibt, wie die Herrlichkeit des Herrn den Tempel verlässt (Hesekiel 11,23). Jesus selbst spricht davon, dass Gott sein Volk verließ, als er aus dem Tempel hinausging (Matthäus 21,17), und er warnt vor der endgültigen Trennung: „Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer“ (Matthäus 25,41 LUTH 1984). Auch die Offenbarung spricht davon, dass die Gottlosen draußen bleiben müssen (Offenbarung 22,15).
Doch neben dieser dunklen Linie gibt es eine helle, leuchtende Linie, die das Evangelium ist. Sie erzählt davon, dass Gott trotz unserer Schuld und gerade um uns von der Macht der Sünde und ihren Folgen zu befreien, zu uns kommt. Er wendet sich uns in seinem Erbarmen zu. Das ist die gute Nachricht: Gott kommt, um Leben zu schenken. Diese Spannung zwischen Gericht und Gnade macht die Größe des Evangeliums aus. Gott ist gerecht und heilig, er kann die Sünde nicht übersehen. Aber er ist zugleich voller Erbarmen und Liebe, und darum kommt er selbst in Jesus Christus zu uns. Er trägt unsere Schuld, damit wir leben können. „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Johannes 3,16 LUTH 1984).
So dürfen wir die Worte der Offenbarung nicht nur als eine ferne Botschaft lesen, sondern als eine unmittelbare Zusage: Gott ist da, er war da, und er kommt. Er ist in Bewegung auf uns zu, und er will uns begegnen. Wer sich ihm öffnet, erfährt, dass diese Bewegung Leben bringt – heute, morgen und in Ewigkeit.
„Von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind“ – so beschreibt die Offenbarung den Heiligen Geist. Die Kirchenväter haben die Zahl Sieben als zusammengesetzte Zahl verstanden: Drei steht für den dreieinigen Gott, vier für die Welt mit ihren vier Himmelsrichtungen. In dieser Symbolik wird sichtbar, dass der Heilige Geist in seiner Siebenfaltigkeit dargestellt wird. Er ist der Geist, der vom Thron Gottes ausgeht und in die ganze Welt gesandt wird, um Menschen für Gott zu öffnen und sie heimzubringen.
Der Heilige Geist wirkt nicht nur äußerlich, sondern von innen her. Er schafft uns neu, er verändert unser Herz und bereitet uns auf die endgültige Heimkehr zu Gott vor. Sein Ziel ist es, uns zu Menschen zu machen, die bereit sind für die Gemeinschaft mit dem heiligen Gott, mit den Engeln und mit den vollendeten Gerechten in Ewigkeit. Darum ist der Heilige Geist der heilende Geist. Er heilt die Trennung zwischen Gott und Mensch, er heilt die Wunden der Sünde, er heilt die innere Zerrissenheit. Er macht uns „hoffähig“ für die Gegenwart Gottes, damit wir nicht nur in der Ewigkeit, sondern schon heute in der Gemeinschaft mit ihm leben können.
Die Bibel bezeugt diese heilende Kraft des Geistes immer wieder. Paulus schreibt: „Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit” (2. Korinther 3,17 LUTH 1984). Und Jesus selbst verheißt: „Aber der Tröster, der heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe” (Johannes 14,26 LUTH 1984). So zeigt die Offenbarung: Der Heilige Geist ist nicht nur eine Kraft, sondern die lebendige Gegenwart Gottes, die uns verwandelt und heil macht. Er führt uns Schritt für Schritt auf dem Weg, der zur endgültigen Gemeinschaft mit Gott führt. Wer sich ihm öffnet, erfährt schon jetzt, dass er nicht allein geht, sondern von Gottes Geist getragen wird – bis hinein in die Vollendung.
Dieses Wissen schenkt uns Hoffnung und Verantwortung zugleich. Hoffnung, weil wir wissen, dass wir nicht allein sind, sondern von Gottes Geist erfüllt und geleitet werden. Verantwortung, weil wir berufen sind, uns diesem Geist zu öffnen und ihn nicht zu dämpfen, wie Paulus mahnt: „Den Geist dämpft nicht“ (1. Thessalonicher 5,19). Die Gemeinde Jesu lebt aus der Fülle des Heiligen Geistes. Er ist die Kraft, die uns trägt, die Wahrheit, die uns leitet, und die Gegenwart, die uns mit Gott verbindet. Wer sich ihm anvertraut, erfährt, dass Gottes Geist nicht nur vor dem Thron ist, sondern mitten unter uns wirkt – heute, morgen und bis in Ewigkeit.