Auslegung des Vaterunsers — Matthäus 6, 5–13:
Matthäus 6,5 LUT 1984: “Und wenn wir betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.”
Jesus warnt seine Jünger eindringlich vor der Heuchelei im Gebet. Diese Warnung ist zeitlos und gilt auch uns heute uneingeschränkt. Denn die Versuchung, Frömmigkeit zur Schau zu stellen, ist nicht verschwunden – sie hat nur neue Formen angenommen. Damals waren es die Synagogen und Straßenecken, heute sind es die Bühnen der digitalen Welt: Kameras, Livestreams, soziale Netzwerke.
Es gibt Christen, ja auch christliche Influencer, die sich gerne öffentlich positionieren, um beim Beten gesehen und bewundert zu werden. Doch Jesus macht klar: Wer betet, um Eindruck zu schinden, wer Gebet instrumentalisiert, um Likes, Applaus oder Follower zu gewinnen, der hat seinen Lohn bereits empfangen – und zwar den vergänglichen Ruhm der Menschen.
Das wahre Gebet aber sucht nicht die Bühne, sondern die Gegenwart Gottes. Es lebt von der Verborgenheit, von der inneren Hingabe, von der Ehrlichkeit des Herzens. Jesus ruft uns dazu auf, uns nicht von Ruhmsucht treiben zu lassen, sondern in Demut und Aufrichtigkeit zu beten. Denn nur so wird das Gebet zur Begegnung mit dem Vater im Himmel – und nicht zur Inszenierung vor den Augen der Welt.
Matthäus 6,6 LUT 1984: “Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir´s vergelten.”
Statt der Versuchung des Selbstruhms weist Jesus uns einen anderen Weg: das stille, verborgene Gebet. „Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist.“ Damit macht Jesus deutlich: Beten ist kein Schauspiel, sondern eine intime Begegnung mit Gott. Wir dürfen und sollen beten – ohne Unterlass –, doch die rechte Haltung verlangt Rückzug, Stille und Einsamkeit. Dort, wo kein Applaus und keine Zuschauer sind, öffnet sich der Raum für das ehrliche Gespräch mit dem Vater.
Aber auch hier gilt die Warnung: Nicht jedes Nachdenken, nicht jede selbstgemachte Erkenntnis, nicht jede Tat, die wir als „christlich“ etikettieren, ist schon Gebet. Wer das Gebet mit frommer Fantasie überfrachtet, wer sich selbst in den Mittelpunkt stellt, läuft Gefahr, eine Frömmigkeit zu kultivieren, die bald heiliger erscheinen will als Gott selbst. Jesus ruft uns zu einer nüchternen, ehrlichen Gebetshaltung. Das wahre Gebet lebt von der Einfachheit des Herzens, von der Demut, von der Stille. Es ist kein Ort für Selbstinszenierung, sondern für Hingabe.
Als Nachfolger Jesu beten wir gemeinsam – in den Gottesdiensten, in der Gemeinschaft der Glaubenden – und wir beten einsam, im Kämmerlein, in der Verborgenheit. Beides gehört zusammen: das gemeinsame Gebet, das uns als Leib Christi verbindet, und das persönliche Gebet, das uns in der Tiefe mit dem Vater vereint.
Matthäus 6,7–8 LUTH 1984: “Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.”
Jesus warnt uns davor, das Gebet mit vielen Worten, Wiederholungen und leeren Phrasen zu überladen. Schon damals meinten die Heiden, sie würden durch endloses Reden erhört. Doch Gott lässt sich nicht durch Wortfülle beeindrucken. Auch heute werden seitenweise Gebetsbitten vorgetragen, lange Sätze formuliert, immer wieder dieselben Floskeln wiederholt – und doch bleibt das Herz oft unberührt.
Unser Vater im Himmel sucht nicht das Plappern, sondern das Gebet, das aus der Tiefe des Herzens kommt. Er weiß, was wir benötigen, noch ehe wir ihn darum bitten. Deshalb ist das Gebet kein Informationsaustausch, sondern ein Ausdruck unserer Abhängigkeit und Bedürftigkeit. Wir beten nicht, um Gott etwas mitzuteilen, was er nicht weiß, sondern um uns selbst in seine Gegenwart zu stellen, unsere Not und unser Vertrauen zu bekennen.
Die berechtigte Frage lautet: Warum sollen wir überhaupt beten, wenn Gott doch schon alles weiß? Die Antwort ist: Weil das Gebet die Grundlage unseres Gesprächs mit ihm ist. Es ist die direkte Kontaktaufnahme mit dem lebendigen Gott. Im Gebet bekennen wir, dass wir nicht aus eigener Kraft leben können, sondern von seiner Gnade abhängig sind.
Und noch mehr: Gott tut gewisse Dinge als Antwort auf das Gebet, die er anderenfalls nicht getan hätte. Das Gebet ist also nicht nur Ausdruck unserer Bedürftigkeit, sondern auch ein Werkzeug, durch das Gott handelt. Darum ruft Jesus uns zu einem schlichten, ehrlichen Gebet – nicht aus Fantasie, nicht aus Selbstdarstellung, sondern aus der Stille und aus dem tiefsten Herzen.
Matthäus 6,9–13 LUTH 1984: Darum sollt ihr so beten: “Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergibt uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.”
Vers 9: “Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt.” Mit diesen Worten lehrt uns Jesus, das Gebet an Gott den Vater zu richten. Es beginnt mit der Anerkennung seiner souveränen Herrschaft über Himmel und Erde. Das Gebet ist nicht zuerst Bitte, sondern Anbetung: die Heiligung seines Namens, die Ehrfurcht vor seiner Majestät.
Doch zugleich dürfen wir wissen: Jesus Christus ist eins mit dem Vater. Er selbst sagt: „Ich und der Vater sind eins.“ (Johannes 10,30). Darum ist es nicht falsch, wenn wir unsere Gebete auch an ihn richten. Denn wer den Sohn anruft, ruft zugleich den Vater an, und wer den Vater ehrt, ehrt auch den Sohn. Das Vaterunser zeigt uns die rechte Ordnung: Wir wenden uns an den Vater, aber wir tun es durch den Sohn, im Heiligen Geist. So bleibt das Gebet trinitarisch verankert – es ist keine menschliche Konstruktion, sondern Teilhabe an der göttlichen Gemeinschaft.
Warnung: Gebet darf nicht zur bloßen Formel werden. „Dein Name werde geheiligt“ ist kein Lippenbekenntnis, sondern eine Lebenshaltung. Wer Gottes Namen im Gebet heiligt, muss ihn auch im Alltag ehren – durch Worte, Werke und Herzenseinstellung.
Ermutigung: Wir dürfen mit kindlichem Vertrauen beten. Gott ist unser Vater, nicht ein ferner Herrscher. Er kennt uns, liebt uns und hört uns.
Das Gebet richtet sich an den Vater, anerkennt seine Herrschaft und heiligt seinen Namen. Doch weil Jesus eins mit dem Vater ist, dürfen wir auch ihn direkt anrufen. Entscheidend ist nicht die Wortfülle, sondern die Herzenshaltung: Ehrfurcht, Demut und Vertrauen.
Vers 10: “Dein Reich komme.” Mit diesem Ruf lehrt uns Jesus, die Anliegen Gottes an die erste Stelle zu setzen. Nachdem wir den Vater angebetet und seinen Namen geheiligt haben, richtet sich unser Blick auf sein Reich. Das Gebet ist nicht zuerst auf unsere Wünsche und Bedürfnisse konzentriert, sondern auf den Fortgang der Sache Gottes.
Wir sollen beten für den Tag, an dem unser Rettergott, der Herr Jesus Christus, sein Reich auf Erden aufrichten und in Gerechtigkeit regieren wird. Dieses Gebet ist Ausdruck der Sehnsucht nach der Vollendung, nach dem Kommen des Königs, der alle Tränen abwischen und alle Ungerechtigkeit beseitigen wird.
Doch zugleich gilt: Das Reich Gottes ist nicht nur Zukunft, sondern schon Gegenwart. Jesus selbst hat gesagt: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ (Lukas 17,21). Wer betet „Dein Reich komme“, bittet darum, dass Gottes Herrschaft schon jetzt sichtbar werde – in unserem Leben, in unseren Gemeinden, in unserer Welt.
Warnung: Wir dürfen das Reich Gottes nicht mit unseren eigenen Projekten verwechseln. Es ist nicht menschliche Macht oder religiöse Selbstdarstellung, sondern Gottes souveränes Handeln.
Ermutigung: Wer „Dein Reich komme“ betet, stellt sich bewusst unter die Herrschaft Christi. Dieses Gebet ist ein Bekenntnis der Hoffnung und zugleich eine Einladung, schon heute als Bürger seines Reiches zu leben – in Gerechtigkeit, Liebe und Wahrheit.
Vers 10a: “Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.” Mit dieser Bitte bekennen wir, dass Gott allein weiß, was gut und heilsam ist. Wir unterstellen unseren Willen dem seinen und legen unser Leben in seine Hände. Das Gebet ist damit ein Akt der Hingabe: Wir verzichten auf Selbstverwirklichung und beugen uns unter die Herrschaft des Vaters.
Diese Bitte drückt zugleich unsere Sehnsucht aus, dass Gottes Wille nicht nur in unserem persönlichen Leben, sondern in der ganzen Welt anerkannt wird. So wie die Engel im Himmel Gott dienen, so soll auch die Erde von seiner Herrschaft geprägt sein.
Warnung: Christen müssen lernen, dass nicht ihre Wünsche und Pläne im Zentrum stehen. Wer das Gebet zur Bühne eigener Sehnsucht macht, verfehlt den Kern. Selbstverwirklichung ist nicht das Ziel des Glaubens.
Ermutigung: Wer sich völlig in die Hände Gottes begibt, erfährt Freiheit. Denn Gottes Wille ist nicht Last, sondern Leben. Er führt uns in eine größere Wahrheit, als wir sie selbst entwerfen könnten.
Das Gebet „Dein Wille geschehe“ ist ein tägliches Übungsfeld für Nachfolger Jesu. Es lehrt uns, unsere eigenen Vorstellungen loszulassen und uns in Demut und Vertrauen dem Vater zu übergeben. So wird unser Leben zum Zeugnis seiner Herrschaft – auf Erden wie im Himmel.
Vers 11: “Unser tägliches Brot gib uns heute.” Nachdem wir Gottes Anliegen an die erste Stelle gesetzt haben, dürfen wir nun auch unsere eigenen Nöte vor ihn bringen. Diese Bitte ist schlicht und elementar: Sie anerkennt unsere Abhängigkeit von Gott, der uns das gibt, was wir zum Leben brauchen – geistlich wie materiell.
Jesus lehrt uns, nicht nach Luxus, Wohlstand oder vergänglichem Glück zu verlangen. Viel Geld, ein erfolgreicher Handel, ein reichlich gefüllter Onlineshop – all das gehört nicht zu den wichtigsten und dringlichsten Angelegenheiten des Lebens. Das Gebet richtet sich nicht auf Überfluss, sondern auf das Notwendige.
Wir bitten um Kraft für den Tag, um den Heiligen Geist, um Weisheit und Einsicht. Wir danken für ein einfaches, trockenes Brot – und erkennen darin Gottes Fürsorge. So wird das Gebet zur Schule der Genügsamkeit: Wir lernen, uns mit dem Nötigen zufrieden zu geben und darin Gottes Güte zu sehen.
Warnung: Wer das Gebet mit materiellen Wünschen überfrachtet, verfehlt den Kern. Gott ist kein Garant für Wohlstand, sondern der Vater, der uns das Lebensnotwendige schenkt.
Ermutigung: Wer um das tägliche Brot bittet, erfährt die Treue Gottes. Er gibt uns, was wir brauchen – nicht immer, was wir wollen, aber immer, was uns trägt.
Das tägliche Brot ist mehr als Nahrung: Es ist Sinnbild für Gottes Versorgung in allen Dingen. Diese Bitte lehrt uns Demut, Dankbarkeit und Vertrauen. Sie richtet unseren Blick weg von der Selbstverwirklichung hin zur Abhängigkeit von Gott, der uns Tag für Tag erhält.
Vers 12: “Und vergibt uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.”
Diese Worte werden regelmäßig gesprochen, doch erschreckend selten wirklich umgesetzt. Es stellt sich die Frage, ob uns in der Tiefe bewusst ist, was dieser Satz eigentlich bedeutet. Diese Bitte verknüpft unmittelbar die Vergebung, die wir von Gott erbitten, mit unserer Bereitschaft, anderen zu vergeben. Wer als Jünger Jesu nicht bereit ist zu vergeben, der kann gleichzeitig nicht von Gott die Vergebung seiner eigenen Schuld erwarten. Diese Forderung ist klar und eindeutig. Sie bietet keinen Spielraum für Ausnahmen oder Kompromisse. Wer an seiner Sünde festhält, bleibt in ihr gefangen. Gott befreit ihn nicht, solange er sie nicht loslässt. Diese Erkenntnis ist scharf und kann uns in unserer modernen religiösen Praxis durchaus unangenehm erscheinen. Sie gilt jedoch uneingeschränkt. Als Christen stehen wir damit vor einer existenziellen Herausforderung, die wir nicht umgehen oder beschönigen dürfen. Das Gebet des Vaterunsers bringt in aller Nüchternheit die zwingende Konsequenz des Lebens mit Gott zum Ausdruck und macht deutlich, dass wahre Versöhnung nur möglich ist, wenn wir selbst vergeben.
Jesus’ Lehre zeigt hier ihre unverminderte Härte und glasklare Wahrheit. Während wir ständig von Liebe sprechen und die Bibel zitieren, fehlt es häufig an der Bereitschaft, wirklich zu vergeben. Das ist eine unbequeme Realität, der wir uns ehrlich stellen müssen. Dabei liegt das Prinzip des Vergebens keineswegs nur im Neuen Testament. Schon im Buch Sirach, einem der Weisheitsbücher der Bibel, finden wir eine klare Aufforderung: „Vergibt deinen Nächsten, was er dir zuleide getan hat.“ (Sirach 28,2) Diese Aufforderung knüpft an eine lange Tradition an, die das Vergeben als eine unabdingbare Grundlage des christlichen Lebens versteht. Das Vaterunser macht unmissverständlich deutlich, dass die Bereitschaft zur Vergebung die Grundlage für die geistliche und neue Existenz eines Christen ist. Ohne Vergebung der Sünde ist es unmöglich, ein wahrer Jünger Jesu zu sein. Wer sich weigert, anderen zu vergeben, der verschließt sich selbst vor dem Leben des Glaubens. Es gibt keine Umgehung davon und keine Verklärung, die diese Wahrheit mildern könnte. Jesus beschreibt diesen Weg als die enge Pforte, die viele scheuen, doch genau diese führt zum Leben.
Vers 13: “Und vergibt uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.” Damit wird deutlich: Gott selbst führt nicht in Versuchung, doch er erlaubt Prüfungen, in denen unser Glaube bewährt wird.
Diese Bitte ist der Höhepunkt des Vaterunsers und fasst die ganze Not und Sehnsucht des Menschen zusammen. Sie verbindet die Vergebung mit der Bewahrung und mündet in der Anbetung Gottes.
Auf den ersten Blick scheint diese Bitte Jakobus 1,13 zu widersprechen, wo es heißt, dass Gott niemanden versucht: “Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand.” Doch die Spannung löst sich, wenn wir verstehen: Gott selbst verführt nicht zum Bösen, aber er erlaubt Prüfungen, in denen unser Glaube gestärkt und bewährt wird. Die Bitte „führe uns nicht in Versuchung“ ist Ausdruck eines gesunden Misstrauens gegenüber der eigenen Kraft. Sie bekennt: Wir sind nicht stark genug, Versuchungen aus eigener Macht zu widerstehen. Wir brauchen die Bewahrung des Herrn.
„Erlöse uns von dem Bösen“: Diese Bitte ist der Schrei des Herzens nach täglicher Heiligung. Sie richtet sich gegen die Macht der Sünde und gegen den Satan, der uns zu Fall bringen will. Wer so betet, bekennt seine völlige Abhängigkeit von der Kraft Gottes. Es ist das Gebet aller, die sich danach sehnen, durch den Heiligen Geist bewahrt und gestärkt zu werden.
Das Böse begegnet uns in vielfältiger Gestalt: in Versuchungen, die uns locken, in Strukturen der Ungerechtigkeit, die uns umgeben, und nicht zuletzt in den dunklen Neigungen unseres eigenen Herzens. Darum ist diese Bitte zugleich ein Ruf nach Reinigung, nach innerer Erneuerung, nach einem reinen Herzen, das Gott allein gehört. Sie richtet den Blick nicht nur auf die Gegenwart, sondern auch auf die Zukunft, auf die endgültige Erlösung, wenn Christus wiederkommt und das Böse endgültig besiegt wird. „Erlöse uns von dem Bösen“ ist damit ein Gebet der Demut, weil wir unsere Abhängigkeit bekennen, und ein Gebet der Hoffnung, weil wir auf Gottes Macht vertrauen. Es ist die tägliche Schule des Glaubens, in der wir lernen, uns nicht auf unsere eigene Stärke zu verlassen, sondern uns ganz in die Hände des Vaters zu geben, der uns durch seinen Geist bewahrt und uns Schritt für Schritt heiligt. So wird diese Bitte zum Ausdruck einer tiefen Sehnsucht: frei zu werden von der Macht der Sünde und zugleich festzuhalten an der Hoffnung, dass Gottes Reich, seine Kraft und seine Herrlichkeit in Ewigkeit bestehen.
Das Vaterunser schließt mit einem machtvollen Lobpreis, der den ganzen Weg des Gebets zusammenfasst und vollendet. Nachdem wir unsere Schuld bekannt, um Bewahrung gebeten und die Erlösung von dem Bösen erfleht haben, richtet sich unser Blick auf Gott selbst. „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ – diese Worte sind wie ein Siegel über alle Bitten.
Sie erinnern uns daran, dass Gott allein die Herrschaft hat, dass seine Kraft größer ist als jede Versuchung und dass seine Herrlichkeit unvergänglich bleibt. Das Gebet endet nicht in der Schwachheit des Menschen, sondern in der Stärke Gottes. Es ist ein Bekenntnis, dass alles, was wir erbitten, letztlich in seiner Macht steht und von seiner Herrlichkeit überstrahlt wird.
So wird das Vaterunser zu einem Gebet, das uns von der Gefahr der Heuchelei über die Schule der Genügsamkeit bis hin zur Hoffnung auf endgültige Erlösung führt. Es mündet in den Lobpreis, der uns lehrt: Gott ist König, Gott ist stark, Gott ist herrlich – und das für alle Zeit. Mit dem „Amen“ bekräftigen wir unser Vertrauen, dass er unsere Bitten hört und erfüllt, nicht nach unserem Maß, sondern nach seiner ewigen Weisheit und Liebe.
Bernhard Beck
Redaktion „Christuswort“